Unser Unbegrenzter Radfahrtraum: Ruanda



Ein eher kleines Land komplettierte das Trio der Länder in Ostafrika, für das unser Visum gültig war. Aber dieses kleine Land hat es in sich. Bekannt für den äußerst brutalen Völkermord von 1994, wissen weniger Leute doch welche riesigen Fortschritte das Land seitdem gemacht hat. Es gilt heute als eins der sichersten, saubersten und korruptionsfreiesten Länder Afrikas.

Sauberes Ruanda

Der Grenzübergang verlief reibungslos. Wir hatten noch neun Tage auf unserem Visum und ich hatte recherchiert, dass fünf Tage überziehen ohne Konsequenzen bleibt. 14 Tage insgesamt also. Nach der Grenze mussten wir dann die Straßenseite wechseln. Es gab kein Schild und nichts was darauf hingewiesen hat, hätte ich nicht gewusst, dass in Ruanda Rechtsverkehr herrscht, wären wir wohl frontal in das nächste Auto gekracht!

Nach einer kurzen Pause in der Nähe von der Grenze ging die Bettelei auch schnell weiter. „Mzungu, give me money!“ war auch oft das einzige Englisch was die Leute kannten. Anders als die meisten afrikanischen Länder war Ruanda bereits vor der Kolonialzeit ein Königreich in dem eine Sprache gesprochen wurde: Kinyarwanda. Englisch, Französisch und Swahili sind zwar auch Amtssprachen, werden aber nur von wenigen Ruandern beherrscht, da, anders als in Kenia und Uganda, keine Mittelssprache benötigt wird.

Wenige Kilometer hinter der Grenze sah ich, dass ein Junge Steine auf uns warf. Ich hielt sofort an, worauf der Junge mit seinen Freunden sofort ins Gestrüpp flüchtete. Ich folgte ihnen bis ich einen Bauern traf und erklärte ihm in Zeichensprache was passiert ist. Wie auch bei unserem Vorfall vor der Grenze in Uganda hoffen wir, dass die Erwachsene hier ihre Kinder besser disziplinieren. „Give me money“ zu rufen und Steine werfen ist nicht wie man als Tourist behandelt werden möchte.

Die Rufe nach Geld verschwanden schließlich, als wir uns der Stadt Ruhengeri näherten. Wir sahen viele moderne Häuser und Schulen, die Straßen waren blitzblank mit sauber angelegten Bürgersteigen. Als wir die Straße überqueren wollten, hielten die Autos sogar für uns an! So wird mir Ruanda doch gefallen.

Unsere Gastgeberin Esther begrüßte uns herzlich. Sie ist mit einem Amerikaner verheiratet, der auf warmshowers angemeldet ist, aber oft selbst auf Geschäftsreisen in anderen afrikanischen Ländern ist. Hierhin hatte ich auch eine neue Kreditkarte bestellt, leider kam diese aber nie an. Den Rest der Woche abzuwarten half nichts und wir mussten ohne die Karte weiterradeln, um unser Visum nicht zu sehr zu überziehen. Esther hat mir angeboten, den Brief, wenn er denn ankommt, mit einem Fernbus nach Tansania zu senden, was sehr nett von ihr war.

Verlust der Privatsphäre

Ich hatte mir auch meinen ersten Durchfall in Afrika eingefangen. Selbstverschuldet, da ich einen schimmeligen Donut gegessen habe. Er machte mir einige Tage zu schaffen und ließ mich die Berge am Kivu-See nur sehr langsam hochkriechen. Leider war der See oft in Nebel gehüllt, die Straße aber trotzdem wunderschön und super ausgebaut, an den Gipfeln die Kongo und Nil trennen.

Ruanda abseits der Städte ist eine Herausforderung für introvertierte Menschen wie uns. Die Bevölkerungsdichte ist sehr hoch und Privatsphäre ein unbekanntes Konzept. Wann immer wir anhielten, waren wir innerhalb von Minuten umzingelt von Leuten, hauptsächlich Kindern, die uns einfach nur anstarrten. Sie hörten auf mit was auch immer sie gerade am machen waren, kamen zu uns und glotzten uns mit halboffenen Mund an. 30 Minuten lang, bevor es uns zuviel wurde und wir weiterfuhren. Einige Kinder liefen uns daraufhin nach, für mehrere Kilometer, bis sie keuchend und schnaufend aufgaben. Viele bettelten auch während all dem.

Einmal mussten wir wegen fehlender Unterkunft bei einer Kirche ohne Abzäunung zelten. Wir konnten uns nicht zur Ruhe ins Zelt begeben, da es innerhalb von Minuten umzingelt war von Gaffern, die mit Taschenlampen umherleuchteten und Kommentare über uns machten. Nachdem ich sie verscheuchte, kamen sie innerhalb von zehn Minuten wieder. Als sie später endlich abließen, wurden wir insgesamt viermal von Leuten geweckt, angeblich während unserer Sicherheit. Früh am Morgen wurden wir geweckt von Bauern die sich in der Nähe unseres Zeltes unterhalten haben, einer von ihnen hatte im Vorbeigehen „Give me money“ gesagt. Wir packten schnell unsere Sachen und machten uns auf den Weg…

Wenn es von dieser Beschreibung nicht schon offensichtlich ist, wir haben uns gefühlt wie Tiere im Zoo oder Außerirdische. Jemand mit weißer Hautfarbe wird anscheinend von vielen Ruandern nicht als gleichwertiger Mensch betrachtet, sondern als komisches Wesen (oder als Geldautomat). Wir haben mehrfach versucht, mit diesen Gaffern zu sprechen und ihnen zu erklären, dass uns unwohl ist, so angestarrt zu werden, wurden aber nie ernstgenommen. Wenn allerdings ein anständiger Ruander in der Nähe war und die Leute weggeschickt hat, wurde er respektiert. Wir waren also für die Meisten einfach komische Kreaturen, die man nicht ernstnehmen muss. Ich denke, hier ist eine Bildungslücke. In den meisten Schulen der Welt wird mehrfach erklärt, dass es Menschen mit verschiedenen Hautfarben gibt, wir aber alle Homo Sapiens sind und uns zu lieben und zu respektieren haben. Dies scheint in Ruanda einfach nicht der Fall zu sein. Die Anzahl der hellhäutigen Ausländer ist nicht wirklich geringer hier als in Kenia, trotzdem wird man dort sehr ebenbürtig und respektvoll behandelt. Wohl wegen der Bildung? Nur meine persönliche Theorie…

Genug der Beschwerden, abgesehen davon war das Radeln toll. Wir mussten zwar mehrfach rauf auf 2400 m, aber die Straßen waren nie zu steil und sehr gut asphaltiert. Es gibt entlang derselben Achse sogar einen Radweg, den „Congo Nile Trail“, der aber hauptsächlich auf unbefestigten Pfaden führt. Da auf der asphaltierten Straße ohnehin kaum Verkehr war, habe ich die Notwendigkeit nicht gesehen – für hartgesonnene Bikepacker jedoch eine Überlegung wert.

Auf dem Weg nach Kigali sahen wir einen tollen Wasserfall und hatten immer wieder fantastische Aussicht auf die bis an die Gipfel mit Terrassen angebauten Berge. Immer wieder hatten wir angenehme Begegnungen mit freundlichen ruandischen Radlern, von denen es viele gab. Sie arbeiteten entweder als Fahrradtaxis oder transportieren schier unmöglich schwere Lasten – unsere Räder waren im Vergleich richtig leicht! Einer von ihnen, Patrick, half uns sogar, die nervigen Kinder vom Hals zu halten. Super Typ!

Kigali genießen

Die konstante Aufmerksamkeit ließ endlich kurz vor Kigali nach und wir haben uns an Yuilys Geburtstag über die steilen Hügel der Stadt rechtzeitig zum Mittagessen in das Japanische Restaurant Kiseki begeben. Dieses Restaurant wurde von der Weltenradlerin Mio gegründet und wurde uns empfohlen. Mio empfing uns mit offenen Armen, organisierte ein kleines Ständchen für Yuily und lud uns zum Buffet ein, auf das wir uns schon seit Tagen gefreut haben. Wir mögen afrikanisches Essen zwar, aber eine Abwechslung war doch sehr willkommen. Währenddessen kam auch ein Italienischer Radler dort an, der selbst von Kapstadt nach Kairo unterwegs war. Wir konnten viele Informationen mit ihm austauschen.

Wir hätten auch bei Mio zelten können, allerdings hat ein Amerikanisch-Kamerunisches Paar uns schon über warmshowers aufgenommen. Sean und Fai waren fantastische Gastgeber und wir genossen die nächsten drei Nächte Komfort mit ihnen, während wir die Stadt besichtigten und Erledigungen machten. Nach Kigali hatten wir lange Strecken in Tansania vor uns und wussten nicht, wann wir das nächste Mal eine voll ausgestattete Küche genießen können.

Eins was wir uns ansehen mussten war schließlich das Museum über den Völkermord. Ruanda hatte seit geraumer Zeit ein Klassensystem: Landwirte und Arbeiter waren als Hutu bezeichnet, Grundbesitzer und Beamte als Tutsi. Als die Belgischen Kolonialherren Personalausweise mit dieser Bezeichnung ausstellten, war eine soziale Migration zwischen diesen Klassen nicht mehr möglich. Hasstriaden in den Medien und einzelne Massaker wurden immer üblicher, bis sich im April 1994 der mediengesteuerte Hass entlud und Hutu-Extremisten zum Mord aller Tutsi aufriefen. Nachbarn und Freunde wurden über Nacht zu Todfeinden.

Das resultierende Chaos hat es dem Rebell Paul Kagame leicht gemacht, innerhalb weniger Monate das Land zu erobern. Er setzte dem Morden sofort ein Ende und regiert bis heute. In diesen wenigen Monaten verloren jedoch ca. 800.000 Tutsi und moderate Hutu ihr Leben. Kagame ist ein oft genanntes Beispiel für einen guten Diktator: Er arbeitete den Völkermord auf, ohne auf einen Rachefeldzug zu gehen. Er modernisierte das Land zu einem der saubersten, sichersten und organisiertesten Länder Afrikas. Und vor allem schaffte er die Hutu-Tutsi Differenzierung komplett ab, heute bezeichnen sich alle lediglich als Ruander.

Trotzdem hat mich die schiere Brutalität des Völkermords nach dem Museumsbesuch gedanklich gemacht. Es gab keine zentrale Organisation hinter diesem Völkermord, die Regierung hatte komplett die Kontrolle verloren, das Morden geschah also aus sozialem Druck heraus. Selbst in Nazi-Deutschland hielt die Regierung die Vernichtungslager geheim, aber hier geschah dasselbe auf offener Straße, ohne dass es jemand stoppen konnte. Die gewaltige Macht und Verantwortung der Medien wurde mir bewusst – diese allein können solch schreckliche Ereignisse auslösen.

Gute letzte Eindrücke

Wir radelten schließlich in den Osten des Landes zu der Grenze von Tansania. Die Hügel ließen etwas nach, also war die Landschaft etwas weniger beeindruckend. Trotzdem machte uns das Radeln hier mehr Spaß, da die Leute um einiges freundlicher waren als im Westen. Wir würden zwar immer noch angestarrt wie Zootiere, aber kaum jemand bettelte oder machte sich lustig über uns. Am ersten Abend konnten wir bei einer Kunstgalerie campen, am zweiten fanden wir ein Gästehaus für 10 € das sogar WLAN hatte. So verließen wir Ruanda mit einem guten letzten Eindruck.

Ruanda ist sicherlich ein sehr interessantes Land. Einen Besuch hier kann ich trotz dem Zootier-Gefühl empfehlen – hier werden durch saubere Straßen, schöne Häuser und das moderne und sichere Kigali viele Vorurteile von Afrika zu Grunde gehen. Hier findet man schöne Berge und Seen in denen es viel zu sehen gibt. Für Touren oder Safaris sollte man allerdings tiefe Taschen haben, diese sind teurer als in den Nachbarländern!

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